Link- oder Rechtschreibung

Ein leidiges Thema für jeden Verleger stellt heuer bekanntlich die sogenannte Rechtschreibreform dar. Daß ein großer Teil der ernstzunehmenden Verlage sich bisher (wir schreiben das Jahr 2002) völlig einer Umstellung verweigert hat, wird einem großen Teil des Publikums – der Leserschaft – entgangen sein. Doch auch nur ein Bruchteil derer, die es bemerkt haben, weiß um die Gründe. So kommt es, daß mitunter sogar kulturell durchaus interessierte und gebildete Menschen der Meinung sind, man könne diese Reform umsetzen und wäre damit aktuell, und auf der Höhe der Zeit. Aus Höflichkeit schweigt der, der es besser weiß.

Geschichte

Die Geschichte der deutschen Rechtschreibung ist aber gar nicht so unübersichtlich, wie diese Menschen denken. Freilich existierte das Deutsche ursprünglich (wie jegliche andere wichtige Sprache) nur gesprochen. Und Deutschland war, wie jeder weiß, bis ins 19. Jahrhundert nichts als eine Ansammlung kleiner Staaten: selbst wenn jeder Staat eine Rechtschreibregelung gehabt hätte, so existierten dennoch dutzende Varianten. Glücklicherweise war man sich recht einig, die lateinische Schrift zu verwenden – auch mit griechischen Buchstaben hätte man ja lautschriftlich das Deutsche wiedergeben können. Doch auch so ist nicht zu übersehen, daß die Schriftsprache der Deutschen von Anbeginn lokal geprägt und keinesfalls eineitlich war.

Zwei Dinge signalisierten aber den Aufbruch zu einer Vereinheitlichung der Schriftsprache: Johannes Gensfleisch zur Laden (genannt Johannes Gutenberg, ~1400–1468) entwickelte um 1450 ein Verfahren, das es ermöglichte, mittels beweglicher Lettern Bücher mit vertretbarem Aufwand beliebig oft zu vervielfältigen und damit auch zu einem vernünftigen Preis jedermann zugänglich zu machen. Martin Luther (1483–1546) übersetzte das Buch der damaligen Zeit, die Bibel, 1521–1534 in die deutsche Sprache, das daraufhin zum meistgedruckten deutschsprachigen Buch der folgenden Jahrhunderte und damit ganz wesentlich auch zum rechtschreiblichen Referenzwerk für andere Drucke wurde.

Da dem Verfasser einer Schrift stets daran gelegen ist, daß die Dinge, die er niederschreibt, möglichst problemlos zu lesen sind, ist es verständlich, daß er sich daran orientiert, wie die anderen schreiben. In einer Gesellschaft, in der es bereits gedruckte Literatur gibt, dient diese zur Orientierung, und nachdem Deutschland im 19. Jahrhundert immer mehr zusammenrückte – das deutsche Eisenbahnnetz ist im wesentlichen zwischen 1840 und 1900 entstanden – kann es keinen verwundern, daß die Schriftsprache der Deutschen an der Wende zum 20. Jahrhundert fast vollständig vereinheitlicht war. Und das ohne irgendeinen staatlichen Eingriff, sozusagen von der berühmten unsichtbaren Hand geführt.

Anders als heute vielfach behauptet, brachte die Zweite orthographische Konferenz im Jahre 1901 keine Neuerungen. Sie vereinheitlichte lediglich die einander schon sehr ähnlichen Rechtschreibrichtlinien für die Schulen der verschiedenen deutschsprachigen Länder. Damit wurde ein Prozeß etwas beschleunigt, der sich sonst vielleicht noch wenige Jahrzehnte hingezogen hätte. Nicht alles, was heute als Rechtschreibregel in den einschlägigen Wörterbüchern steht, wurde damals festgelegt, die Zeichensetzung beispielsweise blieb völlig ausgeklammert. So wurde denen, die beruflich mit der Sprache umgehen, schnell klar, daß weitere Richtlinien erforderlich sind, damit die deutsche Schriftsprache stets einheitlich verwendet würde. Außerdem verändert sich jede Sprache gleichzeitig mit den Menschen, die sie benutzen und von ihr beschrieben werden, mit technischer und kultureller Fortentwicklung und – als Fortsetzung des oben beschriebenen Prozesses des immer regeren Austausches mit den benachbarten, nun nicht mehr unbedingt deutschsprachigen Ländern – der Wechselwirkung mit den Sprachen der Nachbarländer, letztlich allen verbreiteten Sprachen.

Die Kultusminister der (west)deutschen Länder vereinbarten daher 1955, daß das Wörterbuch Duden an allen Stellen, die von den Festlegungen von 1901 nicht geregelt wurden, als Maßstab gelten sollte. Die Dudenredaktion verfolgte daher immer, wie die deutschsprachigen Menschen schrieben, und versuchte den Zustand durch Regeln zu beschreiben; neue Wörter und Schreibweisen wurden nach einiger Zeit in das Wörterverzeichnis aufgenommen. Da manche Besonderheit aber von den Schreibenden unterschiedlich gehandhabt wurde, führte der Versuch, all dies in zu beschreiben, dazu, daß der Regelteil im Laufe der Jahre anschwoll von Spitzfindigkeiten und Unterscheidungen, die kaum ein schreibender Mensch beherrschen konnte, wollte und auch mußte, um verstanden zu werden.

Die »Rechtschreibreform«

Freilich konnte dieser Zustand nicht befriedigen und so wurde immer wieder der Ruf laut, die geltende Rechtschreibung zu reformieren. An dieser Stelle können wir nicht auf Einzelheiten eingehen, im Jahre 1996 veröffentlichte jedenfalls eine Komission, die von den Kultusbehörden der deutschen Länder, Österreichs und der Schweiz damit beauftragt worden war, den Entwurf einer Rechtschreibreform. Offenbar wußten die betroffenen Behörden, daß dieser Entwurf einer fachlichen Kritik nicht standhalten konnte. Daher wurde entgegen dem vereinbarten Zeitplan bereits zwei Jahre vor dem geplanten Inkrafttreten der Reform verfügt, daß an den Schulen nach den neuen Regeln zu unterrichten sei. Damit konnte man den Kritikern entgegenhalten, nun sei es zu spät.

Daß die nun massiv einsetzende Kritik berechtigt sein könnte, scheint den Kultusministern nie in den Sinn gekommen zu sein. Selbst als die von ihnen installierte Komission unter dem Druck vieler Argumente von Sprachwissenschaftlern und Schriftstellern zugeben mußte, daß der Entwurf unbedingt noch verändert werden muß, bevor er 1998 in Kraft treten kann, wollen sie davon nichts wissen und bestehen darauf, den ursprünglichen Plan umzusetzen. Ein eindrückliches Beispiel, was in Deutschland Basisdemokratie bedeutet, wird in Schleswig-Holstein vorgeführt: Mit beeindruckender Mehrheit sprechen sich die wahlberechtigten Bürger dort dafür aus, daß an den Schulen weiterhin die bisherige Rechtschreibung unterrichtet werden soll, die Parlamentarier, die sogenannten gewählten Verteter des Volkes, heben nach kurzer Zeit diesen Beschluß wieder auf.

Der Ansatzpunkt der Reformer war einer, den alle, die professionell mit der geschriebenen Sprache umgehen, mit äußerster Skepsis betrachten müssen. Seit Jahrhunderten war die Schriftsprache dahingehend optimiert worden, daß der Leser den Text möglichst gut und schnell erfassen konnte. Nun sollten Abstriche an der Lesbarkeit gemacht werden, um durch Vereinfachungen die Fehlerquote bei Schreibanfägern und Wenigschreibern zu senken. Da die neuen Regeln aber sebstverständlich für alle Schreiber der deutschen Sprache gelten sollte, hieße das, daß den geübteren und professionellen unter ihnen ein feingeschliffenes Werkzeug weggenommen und durch ein gröberes ersetzt würde. Kein Wunder, daß die sogenannte Reform von Schriftstellern und Linguisten abgelehnt wird.

Während diese und die groß Belletristikverlage ebenso wie viele gebildete Menschen an der modernen, leserfreundlichen Rechtschreibung festhalten, versuchen die Lehrer heute ihren Schülern das beizubringen, was sie von der Reform verstanden haben. Solange sie die neuen Regeln für eine Vereinfachung halten, haben sie aber vermutlich nur einen Bruchteil der Veränderungen erfaßt. Keinesfalls kann man die Gesamtheit des Regelwerkes als durchdachtes und in sich schlüssiges Gebilde unterrichten – vielen ist bereits aufgefallen, daß die Zahl der Ungereimtheiten in der deutschen Schriftsprache durch eine Umsetzung der Reform zunehmen würde. Die meisten großen deutschsprachigen Zeitungen behaupten, ihre Schreibung 1999 auf die neuen Regeln umgestellt zu haben. In Wirklichkeit haben sie aber nur einige auffällige Dinge umgesetzt, in anderen Bereichen folgt man den bisherigen Gepflogenheiten. Damit haben sich in den Zeitungsverlagen wieder sogenannte Hausorthographien entwickelt, ein Zustand, der im 20. Jahrhundert überwunden war. Der aktuelle Versuch einer Rechtschreibreform hat jedenfalls die deutsche Einheitsorthographie sicher für etliche Jahre zerstört.

 

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Literaturempfehlungen


Der Klassiker:

Theodor Ickler

Die sogenannte Rechtschreibreform
Ein Schildbürgerstreich

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Das Taschenbuch, erschienen 1997 im Leibnitz Verlag St. Goar, ist zwar dadurch, daß die Rechtschreibreform »hinter den Kulissen« schrittweise »zurückgebaut« wird, in manchem Beispiel überholt, stellt aber für alle, die sich für das Phänomen »Rechtschreibreform« interessieren, eine gute Einführung dar. Eine kurze Geschichte der Reformbestrebungen und ein Kommentar der wesentlichen »Neuerungen« hat der wohl prominenteste Gegner dieser Reform witzig und sprachgewandt so dargestellt, daß auch Menschen, die sich bisher von diesem Thema nicht haben berühren lassen, eine gute Unterhaltung erfahren – und sich vielleicht weiter interessieren.


Theodor Ickler

Kritischer Kommentar zur »Neuregelung der deutschen Rechtschreibung«
mit einem Anhang zur »Mannheimer Anhörung«

nur bei Ihrem Buchhändler: ISBN 3-7896-0992-7
Dieses Taschenbuch, erschienen 1999 im Verlag Palm & Enke Erlangen und Jena, ist deutlich mehr als das obige für ein Fachpublikum bestimmt. Absatz für Absatz nimmt Ickler das Reformwerk auseinander und zeigt dessen Schwächen auf. Wer allerdings den Humor Icklers schätzen gelernt hat, kommt auch hier auf seine Kosten – ein kurzes Zitat nur aus dem Vorwort:
»Der jüngste Versuch einer Rechtschreibreform war bei weitem erfolgreicher als alle früheren Ansätze. Er hat schon ein Jahr vor seinem Inkrafttreten enorme Kosten verursacht und in den Schulen eine bisher nicht für möglich gehaltene Verwirrung erzeugt.
... Wenn der Reformversuch nicht ganz umsonst gewesen sein soll, muß man etwas daraus lernen.«


Hanno Birken-Bertsch und Reinhard Markner

Rechtschreibreform und Nationalsozialismus
Ein Kapitel aus der politischen Geschichte der deutschen Sprache

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Einer anderen Problematik widmet sich dieses Taschenbuch, erschienen 2000 im Wallstein Verlag.
»Die Kultusminister und die von ihnen mit der Ausarbeitung der Rechtschreibreform beauftragten Wissenschaftler sind der Frage beharrlich ausgewichen, inwieweit ihr Projekt eine politische Geschichte hat. Sie hatten dafür Gründe.
Die Untersuchung ... zeichnet ein genaues Bild der nach 1933 intensiv geführten Auseinandersetzungen um die deutsche Rechtschreibung. Die Frage, in welcher Weise sie zu "vereinfachen" sei, beschäftigte in den Jahren des Nazionalsozialismus ... höchste Kreise, zuletzt Hitler selbst.
Die Bemühungen um eine Rechtschreibreform wurden sofort nach Kriegsende wiederaufgenommen. Die 1996 beschlossene Neuregelung der deutschen Orthographie verdankt sich nicht zuletzt dieser ungebrochenen Kontinuität.«


»Mir wird, je länger ich lebe, immer verdrießlicher, wenn ich den Menschen sehe, wie er gerade das Gegenteil tut von dem, was er tun will, und sich alsdann, weil die Anlage im Ganzen verdorben ist, im Einzelnen kümmerlich herum pfuschet.«
J. W. v. G.

Theodor Ickler

Regelungsgewalt
Hintergründe der Rechtschreibreform

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Weniger die Probleme der Rechtschreibung stehen im Mittelpunkt dieses Buches, erschienen 2001 im Leibnitz Verlag St. Goar, als der zweifelhafte Versuch, eine Rechtschreibreform durchzusetzen. Anhand von Originalquellen, die der Laie kaum zusammentragen kann, zeigt der Autor, wer an dem Unternehmen »Rechtschreibreform« eigentlich interessiert war, wer hoffen konnte daran zu verdienen.
»Ich hoffe, damit zur Beantwortung jener Frage beitragen zu können, die uns wohl noch eine ganze Weile beschäftigen wird: Wie war es möglich?«

Doch unabhängig von aller Theorie braucht der Schreibende für die tägliche Anwendung ein Wörterbuch, welches ihm sagt, wie dieses oder jenes Wort zu schreiben sei.
Da sich die Schreibung ganzer Wortfamilien momentan von Auflage zu Auflage ändert, sind Wörterbücher in »reformierter Orthografie« nicht einmal dem Reformbefürworter zu empfehlen, diesem kann heute nicht geholfen werden.
Allen anderen seien die folgenden beiden Wörterbücher ans Herz gelegt:

 

DUDEN Rechtschreibung
der deutschen Sprache

nur bei Ihrem Buchhändler: ISBN 3-411-04010-6
So unglaublich es klingen mag, die Anfrage über ihren Buchhändler lohnt wahrscheinlich: der Dudenverlag »sitzt auf größeren Beständen« der 20. Auflage des Rechtschreibdudens. Glücklicherweise und wohlweislich wurde diese bisher nicht makuliert, so daß es auch heute noch möglich ist einen DUDEN zur gebräuchlichen Rechtschreibung zu erwerben.
Dieses Buch bietet übrigens eine Besonderheit: es ist der erste »wiedervereinigte« DUDEN, mit ihm fand das fast 40jährige Nebeneinander einer Leipziger und einer Mannheimer DUDENausgabe ein Ende.


Theodor Ickler

Sinnvoll schreiben, trennen, Zeichen setzen
Das Rechtschreibwörterbuch
Die bewährte deutsche Rechtschreibung in neuer Darstellung

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»Dieses Wörterbuch stellt die moderne deutsche Rechtschreibung dar, an der die gebildeten Erwachsenen trotz der sog. Rechtschreibreform aus guten Gründen festhalten.
Auf eine allgemeinverständliche "kurze Anleitung zum rechten Schreiben" folgt ein knapper und dennoch umfassender Regelteil. Das anschließende Wörterverzeichnis wurde erstellt durch Auswertung umfangreicher Textquellen.
Mit dieser neuartigen Darstellung soll nicht nur ein praktisches Hilfsmittel für den Alltag bereitgestellt, sondern zugleich gezeigt werden, daß die in Jahrhunderten gewachsene Orthographie äußerst leserfreundlich und – bei hinreichender Liberalität an den richtigen Stellen – leicht zu beherrschen ist.«